Predigtreihe Jüdisch-christlich: näher als du denkst

All die guten Gaben
Sukkoth-beziehungsweise-Erntedank
Gottesdienst von Pfarrer Dr. Martin Streck am 3. Oktober 2021

Ansprache I : 
Das Laubhüttenfest
Abenteuerlich hört sich das an. Das Kind in mir wird neugierig. Laubhütten. Kann ich darin wohnen? Ja, man soll sogar. Sieben Tage lang soll Gottes Volk nicht in den festen Häusern wohnen, sondern unter freiem Himmel. Auf dem Balkon, im Garten, im Hof der Synagoge bauen sie aus Zweigen und Ästen eine Hütte.
Das Dach zumindest muss aus Zweigen sein. Dass man nachts die Sterne sieht. Zahlreich wie die Sterne werden deine Nachkommen, deiner Kindeskinder Kinder sein, hatte Gott Abraham versprochen. In Israel schlafen die Juden auch in den Laubhütten. Wo es kalt ist, wie bei uns, müssen sie dieses Gebot nicht erfüllen. In wärmeren Gefilden muss es wunderschön sein. Denn zum Laubhüttenfest ist immer Vollmond. Es ist der der fünfzehnte Tag des neunten Monats. Der fünfzehnte Tag ist immer Vollmond.
Tisch und Stühle werden rausgeräumt. Die Hütte wird geschmückt. Dass man dort essen und trinken kann, singen und tanzen, richtig feiern. Die Laubhütte hat Karriere also gemacht. Sie war zuerst ein schlichter Schutz auf dem Feld. Bei der Ernte stach die Sonne. Männer, Frauen, Kinder auf dem Feld brauchten Schatten für den Mittag, für die Pause, Essen, Trinken und Ruhe. Dafür bauten sie geschwind Laubhütten aus dem, was sie fanden. War die Ernte vorbei, wurden Äste und Zweige beiseitegeräumt. Sie durften vergehen.
Wir haben hier keine bleibende Statt, sondern die zukünftige suchen wir. Leichte, vergängliche, Hütten brauchten die Kinder Israel, als Gott sie unter Mose durch die Wüste führte. Er hatte sie aus der Sklaverei in Ägypten befreit. Vierzig Jahre blieben sie in der Wüste. Zwei Generationen lang. Gott nährte sie und beschützte sie. Die Kinder Israel bauten sich leichte Häuser, Zelte vielleicht, die man leicht wieder abbauen kann, wenn es weiterging, leicht genug für den Weg. Ohne Mauern. Denn Gott war ihr Schutz.
Später dann im gelobten Land, als sie Häuser bauten, Dörfer und Städte, noch später den Tempel in Jerusalem als Gottes Haus, erinnerten sie sich daran, wie Gott sie schützte in der Wüste und immer und weiter noch schützt. Da nahmen sie die Laubhütten von der Ernte und bauten sie auch in die Dörfer und Städte. Sollten doch auch die Priester und Leviten, der König und seine Beamten, Händler und Soldaten, wenn sie schon bei der Ernte nicht helfen, erinnert werden, wer die Macht hat. Gott, verzehrt von Liebe zu seinem Volk, der für sie da ist, der sie schützt.
Epistellesung (1. Timotheus 6, 6 – 11)
6 Ein großer Gewinn aber ist die Frömmigkeit zusammen mit Genügsamkeit.7  Denn wir haben nichts in die Welt gebracht; darum können wir auch nichts hinausbringen.8 Wenn wir aber Nahrung und Kleider haben so wollen wir uns damit begnügen.9 Denn die reich werden wollen, die fallen in Versuchung und Verstrickung und in viele törichte und schädliche Begierden, welche die Menschen versinken lassen in Verderben und Verdammnis.10 Denn Geldgier ist eine Wurzel alles Übels; danach hat einige gelüstet und sie sind vom Glauben abgeirrt und machen sich selbst viel Schmerzen.11 Aber du, Mensch Gottes, fliehe das! Jage aber nach der Gerechtigkeit, der Frömmigkeit, dem Glauben, der Liebe, der Geduld, der Sanftmut.
Ansprache II : Einladen und Teilen
Schwestern und Brüder, ich stelle mir vor, wie es in Israel ist mit den Laubhütten. Es ist das Land der Juden. Da gibt es viele Laubhütten, fast überall. Sie werden sich besuchen und gegenseitig in ihre Laubhütten einladen. Werden schauen, wie habt Ihr Eure Sukka gebaut, wie habt Ihr sie geschmückt?
Wenn Juden ein Fest feiern, geben sie Spenden für die Armen. Zu Sukkot laden sie sich ein in ihre Laubhütten. Setzt Euch zu uns. Esst und trinkt, lasst es euch gut gehen. Gott ist für uns da. Er schützt uns. Er sorgt für uns. Vor Freude singen und tanzen sie in den Laubhütten. Und schlafen dort. Denn Gott schützt uns.
Wir haben Erntedank. Die Gaben am Altar, wir verschenken Sie. Wir sind beschenkt. Wir teilen und geben weiter von dem, was uns geschenkt worden ist.I ch weiß, es steckt viel Arbeit dahinter. Ein Feld muss gepflügt werden und bestellt, es wird gesät, gedüngt, gewässert. Die Ernte ist mühselig, auch heute noch, denn nicht überall können Maschinen zum Einsatz kommen. Auch die Händler haben Arbeit, bis wir schließlich nach Hause tragen, was wir gekauft haben, was wir zum Leben brauchen. Da rühren viele Menschen ihre Hände. Man könnte sagen: das ist kein Geschenk. Das ist hart erarbeitet .Ja. Aber dass all diese Arbeit einen Ertrag hat, dass wir nicht umsonst uns mühen, das ist uns geschenkt. Denkt nur an die Menschen in Syrien, an all den Orten, wo Krieg herrscht. Da ist vieles nicht möglich, wenn etwa das Wasser fehlt. Vieles wird im Krieg zerstört, auch die Frucht auf dem Feld. Hunger gemacht. Wir können in Frieden arbeiten. Auch dafür tun wir viel. Aber es ist ein Geschenk! Wird in unserem Land ein Mensch in den Ruhestand verabschiedet, heißt es immer: er oder sie gehe in den wohlverdienten Ruhestand. Stimmt das? Dass wir Rente und Pension und die ganze soziale Absicherung haben, ist ein Geschenk. Auch wenn wir einzahlen und die Menschen für diese Systeme arbeiten. Es ist ein Geschenk. Ich frage mich immer: Dort wo es keine Rente gibt, werden die Menschen auch alt. Haben sie weniger gearbeitet? Was haben sie verdient? Haben sie kein Recht darauf, im Alter vor bitterer Armut verschont zu bleiben?
Wir haben Erntedank. Wir sind beschenkt, reich beschenkt. Wir sollten teilen. Wir sollten unseren Mitmenschen unser Herz öffnen. Auch den Menschen in der Ferne. Unser Herz. Und dann auch unsere Tasche.  Darum sammeln wir am Ausgang Kollekte für Brot für die Welt. Gegen den Hunger. Gott, weil er groß ist, gibt am liebsten große Gaben. Ach, dass wir Armen nur so kleine Herzen haben.
Lesung des Evangeliums (Johannes 7, 37 – 39)37 Aber am letzten, dem höchsten Tag des [Laubhütten-]Festes trat Jesus auf uns rief: Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke.38  Wer an mich glaubt, von dessen Leib werden, wie die Schrift sagt, Ströme lebendigen Wassers fließen.39  Das sagte er aber von dem Geist, den die empfangen sollten, die an ihn glaubten; denn der Geist war noch nicht da,denn Jesus war noch nicht verherrlicht.
Ansprache III : Verwandelt werden
Liebe Gemeinde, ­der höchste Tag von Sukkoth, Höhepunkt des Laubhüttenfestes ist Simchat Tora. Freude am Gesetz heißt das. Wir Christen haben hier zu lernen. Wir fühlen uns eingeschränkt, dass wir Gesetze befolgen sollen. Wie schimpft der deutsche Autofahrer, wenn er einen Strafzettel­ bekommt, nachdem er zu schnell gefahren oder falsch geparkt hat. Er kennt doch die Spielregeln! Wer Spielregeln nicht achtet, ist ein schlechter Spieler.Die Juden freuen sich am Gesetz, an der Weisung Gottes an sein Volk. Es weist ihnen den Weg zum Leben. Das Gesetz zu hören und danach zu leben, macht Leben möglich. So lässt sich zurückdrängen, was das Leben bedroht.
Ich will mich durchsetzen. Auf Biegen und Brechen. Mein Recht zuerst. Dem starken Mann ordne ich mich unter. Diese Haltung bringt mir jetzt vielleicht einen kurzen Nutzen. Aber auf Dauer macht sie das, was mich, was uns alle trägt, kaputt. Gegen das Chaos, das uns umgibt, das aber auch von uns selber ausgeht, hilft uns Gott mit seinem Gesetz, mit seiner Weisung.
An Simchat Tora tanzen die Juden mit den Gesetzesrollen in den Händen. Mit dem Allerheiligsten, um es katholisch zu sagen. Das ganze Jahr wird die Tora in der Synagoge sorgsam verwahrt. Mit einem kostbaren Mantel wird sie geschützt. Wird daraus gelesen, wird die Schrift nicht mit dem Finger, sondern mit einem silbernen Zeigefinger an einem Stäbchen berührt. Sie kommt von Gott. Darum ist sie heilig. Gottes gute Gabe an sein Volk zum Segen für alle Welt. Weil sie so gut ist, weil sie so gut tut, tanzen die Juden mit ihr und singen, wenn das Laubhüttenfest endet. Das Lied, das die Juden bei diesem Tanz singen, geht in sie ein und ergreift sie tief. Sie bewegen sich beim Tanz mit der Musik, das Lied lenkt ihre Bewegung, Leib, Geist und Seele. Die Freude geht ein und verwandelt die Menschen. Jesus sprach von dem Geist, sagt uns der Evangelist Johannes. So deutet er Jesu Wort: Wer von mir trinkt, wer an mich glaubt, von dessen Leib werden Ströme leben-digen Wassers fließen. In Jesus ­finden wir Gottes Kraft, so wie die Juden sie aus dem Gesetz, aus der Tora schö­pfen. Mit seiner Kraft will Gott uns Menschen, Juden wie Christen verwandeln. Nicht nur Geist oder Seele, nein, den ganzen Menschen in Seele, Geist und Leib. Dann wird geschehen, was wir nicht selber können. Wir sind zu schwach dazu, uns auszurichten nach dem, wozu Gott uns erschaffen hat. Wenn wir uns ergreifen lassen von Gottes Kraft, werden wir verwandelt. Lebendiges Wasser wird aus uns strömen. In Wort und Tat. Ja schon einfach, dass wir da sind, wird gut tun. Denn Jesus trägt uns, belebt uns und bewegt uns – auf die Menschen hin, auf die Welt hin, hin zu Gott. Von dort, der Geist in uns Wohnung genommen hat. Im Herzen. Amen.