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Ansprache 1: Fern von IHM ist ER uns nah
Vor fünf Tagen feierten die Juden Roschhaschana, den Anfang des Jahres. In fünf Tagen ist Jom Kippur. Zehn Tage verbinden die beiden Feste. Beginnt ein Neues, blicken wir zurück. Wie war das alte Jahr? Tage des Nachdenkens, der Prüfung. Was habe ich getan? Wo habe ich gefehlt? Für alle Juden beginnt ein neues Jahr. Gemeinsam blicken sie zurück. Wir. Haben wir als Gemeinschaft, als Gottes Volk, haben wir die Gebote befolgt? Haben wir uns von Gott zum Leben weisen lassen? Haben wir gehört?
Das Neujahrsfest der Christen gehört zur Weihnachtszeit. Nicht in der Hauptstadt, in Bethlehem, einer kleinen Stadt kam der neugeborene König der Juden kam zur Welt. Er wurde nicht erwartet. Gott geht den Menschen nach, in jede ihrer Irrungen und Wirrungen. Fern von Ihm ist Er uns nah.Zehn Tage der Umkehr. Aus der Ferne hin zu Gott. Die Juden erkennen: Wir haben uns entfernt. Gott aber bahnte einen Weg für uns. Am Versöhnungstag bekennen sie Gott, was sie zuvor erkannten
In vielen Gebeten, in strengem Fasten, einen ganzen Tag lang, vom Vorabend bis zum Abend sind sie in der Synagoge. Die ist weiß geschmückt. Wie unsere Kirche heute.
Gestern ließ ein Paar sich trauen. Von ihnen sind die Blumen. Dank und Freude spricht aus ihnen. In der Synagoge ist mehr noch weiß. Der Vorhang vor dem Schrein, in dem die Tora geborgen ist. Der Mantel, in den die Torarollen gehüllt sind. Die Menschen tragen weiße Kleider, weiß decken sie den Kopf. Wie eine Braut. Menschen bekennen ihre Schuld und gehen gemeinsam den Weg, den Gott ihnen gebahnt hat. Hin zu ihm, gemeinsam, aufeinander zu. Ein Wort von Martin Buber: Die große Schuld des Menschensind nicht die Sünden, die er begeht –Die Versuchung ist groß und seine Kraft ist klein. Die große Schuld des Menschen ist, dass er in jedem Augenblick umkehren kann und es nicht tut.
Ansprache 2: Geh zuerst hin und versöhne dich mit deinem Bruder
Als der Jesus auf Erden lebte, da stand noch der Tempel. Da wurde Jom Kippur anders gefeiert als heute in der Synagoge. Da wurden zwei Böcke geopfert. Der eine Bock wurde geopfert, um den Tempel zu reinigen. Kamen doch Tag für Tag Menschen mit ihren Lasten, mit ihrer Schuld, der Schuld des Volkes zum Tempel. Der eine Bock wurde geschlachtet. Der Hohepriester ging dann in das Allerheiligste des Tempels. Dort stand die Bundeslade. Er besprengte sie mit dem Blut des Opfertieres.
Nur einmal im Jahr, an Jom Kippur, durfte ein Mensch in diesen innersten Raum. Die Lade barg die beiden Tafeln, Gott selbst hatte sie auf dem Berg Sinai mit den Zehn Geboten beschrieben. Das andere Opfertier nennen wir Christen Sündenbock und verstehen es gleich falsch. Wenn wir andere Menschen, es sind immer andere, zum Sündenbock machen, legen wir ihnen unsere Schuld auf, um von uns und unserer Schuld abzulenken, um von ihr nicht reden zu müssen als dem, was sie ist: Unsere Schuld. Wir Christen haben das mit vielen Menschen so gemacht und tun es heute noch. Wir Christen haben es mit dem Volk der Juden so gemacht. Allein: So wird Schuld nur vermehrt und kommt nicht aus der Welt. Es wird nur immer schlimmer. Als 1973 in Israel das Leben still stand, es war Jom Kippur, der 6. Oktober, griffen die arabischen Völker zu den Waffen und Israel an. Der Krieg ist nun nach diesem Fest benannt.V or zwei Jahren wollte ein deutscher Mann in Halle an der Saale die jüdische Gemeinde auslöschen. Es war der 9. Oktober. Es war Jom Kippur. Sie waren versammelt in der Synagoge, fasteten und beteten. Die Türe zur Synagoge hielt Stand. Gott sei Dank.
Immer noch wird Israel, werden die Juden zum Sündenbock gemacht. Doch mit dem Sündenbock im Tempel in Jerusalem war es anders. Die Priester bekannten mit lauter Stimme die eigenen Sünden, die Sünden des Volkes. Die Schuld wird benannt. Die Gläubigen bekennen gemeinsam, dass sie selbst die Tora nicht befolgt, die Weisung Gottes verfehlt haben. Es wird laut: Ich bins, wir sind’s gewesen. Laut bekannt im Angesicht Gottes, vor den Ohren aller.So werden die Sünden auf das Tier gelegt. Der Bock wird nicht getötet. Er wird in die Wüste getrieben. Er soll die Sünden wegtragen, weit weg in die Wüste.Am Nachmittag des Versöhnungstages wird in der Synagoge dann das Buch Jona gelesen. Das ist der Prophet, der nicht hören und reden wollte. Der übers Meer floh und im Walfisch überlebte, bis der ihn nach drei Tagen ans Land spie, damit er endlich tut, was Gottes Wille ist.Jona glaubte nicht. Er glaubte nicht, dass die Menschen in Niniveh umkehren würden. Zu ihnen zu sprechen, hielt er für zwecklos. Viel zu verstockt seien die Menschen dort. Als dann nach der Geschichte mit dem Fisch Jonas doch nach Niniveh ging und seine Predigt ihr Ziel erreichte, als sie umkehrten und bei Gott Gnade fanden, da haderte Jona an Gottes Gerechtigkeit. Sie hatten gesündigt. Das musste doch bestraft werden. Auch wenn die Menschen umkehrten und zu Gott sich wandten: Strafe muss sein.
Gott will beides, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Ohne Gerechtigkeit würde die Welt versinken in Egoismus und Chaos. Ohne Barmherzigkeit würden die Menschen verzweifeln unter ihrer Schuld. Wir sind verantwortlich für alles, was wir tun und lassen. Doch Gott lässt uns nicht allein. Er schenkt uns einen neuen Anfang.
Ansprache 3: Brich dem Hungrigen dein Brot
Am Abend des Jom Kippur, zu Beginn des letzten der vielen Gottesdienste an diesem Festtag, wird der Schofar geblasen. Der Schofar ist uralt. Ein Widderhorn. Womit wir wieder bei den beiden Böcken aus dem Tempel wären. Kein Musikinstrument wird in der Bibel so oft genannt, wie der Schofar. Er ist das einzige Musikinstrument aus der Antike, das überlebt hat. Noch heute wird es in der Synagoge geblasen. Urtümlich hört es sich an
Erst am Abend des Jomp Kippur wird der Schofar geblasen. Ein Zeichen der Freude. Versöhnung ist geschenkt mit Gott, mit den anderen Menschen, mit mir selbst. „Anbeißen“ heißt das Essen, wenn dann die Sonne untergegangen ist. Leichte Speisen kommen auf den Tisch. Denn Fasten sollte nicht mit schwerem Essen gebrochen werden.
Essen schmeckt erst gemeinsam richtig. Darum holt man andere hinzu. Versöhnung ist nichts für mich allein. Versöhnung verbindet. Der Prophet mahnt. Was ist ein rechtes Fasten? Brich mit dem Hungrigen dein Brot. Bedrücke nicht deinen Bruder. Gib Raum zum Leben. Hilf zum Leben. Mache es den anderen leicht.
Im Abendmahl haben wir Christen lange Zeiten zu eng gedacht. Meine Schuld. Mein Gott. Es ist mehr. Wir feiern es als Gemeinde, als Teil der Welt. Gott will Gemeinschaft heilen. Die Welt will er erhalten. Auch durch uns, durch das, was wir Menschen tun und lassen. Gott ist barmherzig. In Jesus schenkt er uns Versöhnung. In ihm ruft er uns in der Dienst der Versöhnung. So lange haben wir uns im Abendmahl abgesondert. Dabei will Jesus mit seinem Mahl uns öffnen und verbinden. Wenn wir das an uns geschehen lassen, wird es tief uns ergreifen. In unserer Schwachheit werden wir seine Kraft, das Leben spüren. Es drängt nach vorne .Manche Juden fangen am Tag nach dem Versöhnungsfest damit an, das nächste Fest vorzubereiten. Es ist das Laubhüttenfest. Sie beginnen, Hütten zu bauen. Gott will, dass das Leben weiter geht. Er wartet auf uns. Amen.
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